Katja Keul MdB

Staatsministerin im Auswärtigen Amt

"Wir werden die Menschen dort nicht alleine lassen"

Interview zur Lage im Niger

03.08.23 –

Table Berlin/von Stefan Braun: Interview vom 03. August 2023

In Niger spricht aktuell wenig für eine schnelle positive Wende. Staatsministerin Katja Keul will die Hoffnung aber nicht aufgeben – und lobt die Welthungerhilfe für die Fortführung ihres Engagements. Ihr Versprechen: „Wir werden die Menschen dort nicht allein lassen.“

Der Niger galt als stabilste Demokratie in der Region. Was bedeutet der Putsch für die Zusammenarbeit mit einem bis jetzt wichtigen Partner?

Niger ist ein Land, das mit einer Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen konfrontiert ist: Folgen der Klimakrise, hohes Bevölkerungswachstum, irreguläre Migration, grenzüberschreitenden Terrorismus, um nur einige zu nennen. Es ging daher immer um eine diesen Verhältnissen entsprechende Stabilität, die stets auch gefährdet war. Dennoch war ich gerade bei meinem letzten Besuch im Niger beeindruckt, wie die Regierung unter Präsident Bazoum die Probleme anging. Er war entschlossen, mehr Bildung für Mädchen und damit ein späteres Heiratsalter durchzusetzen, um die Verhältnisse zu verbessern. Auch auf die Nahrungsmittelversorgung in Dürrezeiten hat man sich im Niger aus großer Erfahrung gut vorbereitet. Die Anstrengungen, die die demokratische Regierung unternommen hat, um das Land auf einem Kurs von Frieden und Sicherheit zu halten und sich als verlässlichen Partner zu positionieren, haben wir mit unseren europäischen Partnern daher nach Kräften unterstützt.

Und jetzt?

In Reaktion auf den Putsch haben wir die Entwicklungs- und Sicherheitszusammenarbeit unverzüglich ausgesetzt. Um über langfristige Folgen zu sprechen, ist es aber noch zu früh. Im Moment bemühen wir uns mit aktiver Krisendiplomatie weiterhin darum, die demokratische Ordnung in Niger wiederherzustellen. Insbesondere die westafrikanische Regionalorganisation ECOWAS nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Noch ist der Putsch nicht in Stein gemeißelt.

Niger ist ein Land von mehreren in einer immer instabileren Region. Deutschland hat sich erst jüngst in der Sahel-Allianz engagiert. Ist das jetzt alles Makulatur?

Die Menschen im Sahel wünschen, was sich alle Menschen wünschen: Sichere Lebensbedingungen, wirtschaftliche Perspektiven und politische Teilhabe. Wir werden die Menschen dort nicht allein lassen, weil wir nur gemeinsam mit dem internationalen Terrorismus und organisierter Kriminalität fertig werden oder erfolgreich globale Zukunftsfragen wie die Klimakrise angehen können. Auch migrationspolitisch ist der Sahel von großer Bedeutung. Die Sahel-Allianz ist das wichtigste Forum für die entwicklungspolitische Koordinierung zwischen internationalen Gebern und den Sahelländern. Sie ermöglicht konstruktive Ansätze, um die Krisenursachen anzugehen. Und macht damit übrigens auch im Vergleich zu Ländern wie Russland konkrete Unterstützungsangebote. Für die Menschen im Sahel.

Ein Grund für das Engagement auch mit der Bundeswehr in Mali war der drohende Vormarsch islamistischer Terrorgruppen. Ist der Kampf jetzt verloren?

Die UN-Mission MINUSMA soll auf Wunsch der malischen Regierung bis Ende des Jahres das Land verlassen. Deutschland hatte bereits einige Monate zuvor für sich entschieden, die Bundeswehr aus Mali abzuziehen, weil die Zusammenarbeit mit der malischen Regierung immer schwieriger geworden war und unsere Soldatinnen und Soldaten ihrem Auftrag vor Ort nicht mehr erfüllen konnten. Die malische Regierung kooperiert seit einiger Zeit verstärkt mit russischen Kräften. Ich habe aber starke Zweifel daran, ob Russland das Sicherheitsvakuum wird stopfen können, dass der Abzug MINUSMAs hinterlässt. Der jüngste UN-Bericht zum Massaker im malischen Dorf Moura unterstreicht, was wir schon lange sagen: Anders als von Russland dargestellt, erzielt es keine nachhaltigen Erfolge im Kampf gegen Terror, sondern verübt schwerste Menschenrechtsverletzungen auf dem afrikanischen Kontinent. Die Folgen sind eine weitere Entfremdung zwischen Regierung und Bevölkerung sowie weiterer Zulauf für Terrorgruppen. Das russische Versprechen einer effektiven Unterstützung bei der Befriedung afrikanischer Konfliktregionen ist eine Mär. Dort, wo Russland auftritt, führt dies in der Regel nur zu mehr Instabilität und Leid für die Bevölkerung.

Was kann Deutschland dagegen tun?

Für uns ist klar: Wir bleiben vor allem mit zivilen Mitteln weiterhin in der Region engagiert und wollen damit vor allem die Ursachen von Terrorismus und organisierter Kriminalität angehen. Gleichzeitig wollen wir die Länder in unmittelbarer Nachbarschaft des Sahel auch weiter im Sicherheitsbereich unterstützen, um ein Übergreifen der Instabilität aus dem Sahel auf diese zu verhindern.

Man kann in den Bildern aus Niger anti-europäische und anti-französische Proteste sehen. Welche Fehler hat Europa gemacht?

Vor allem Frankreich hat eine lange gemeinsame Geschichte mit dem Sahel und Westafrika. Die Kolonialzeit ist in den Köpfen der Bevölkerung hier immer noch sehr präsent. Wir müssen uns als Europäer durchaus fragen, ob wir dem Anspruch einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe wirklich immer gerecht geworden sind. Hier können wir noch besser werden. Nach meinem Eindruck gab es allerdings in Niger eine breite demokratische Mehrheit für die Sicherheitskooperation mit Europa – auch und gerade im Parlament. Die anti-französischen Proteste und die Sichtbarkeit russischer Fahnen waren vor dem Putsch zahlenmäßig längst nicht so verbreitet wie in Mali. Es liegt natürlich im Interesse der Putschisten, solche Proteste nun anzustacheln und zu instrumentalisieren.

Wie groß ist die Gefahr, dass Russland und China mit dem Putsch faktisch ihre Einflusssphären in der Region ausbauen?

Ich denke, dass wir zwischen beiden Ländern deutlich unterscheiden müssen. Russlands Afrikapolitik wirkt überwiegend destabilisierend und zerstörerisch. Moskau geht es offensichtlich darum, von seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine abzulenken und den Europäern in ihrer afrikanischen Nachbarschaft Probleme zu bereiten. China verfolgt im Sahel hingegen vor allem wirtschaftliche Interessen, insbesondere im Rohstoffsektor. Dafür ist ein Mindestmaß an politischer Stabilität erforderlich.

Wie muss Europa seine Politik ändern, damit die Region nicht komplett an Putschisten oder Islamisten verloren geht? 

Wir bleiben dabei: Wir sollten nur mit solchen Regierungen eng zusammenarbeiten, die sich als zuverlässige Partner erwiesen haben. Für Putschisten gilt das selbstredend nicht, für Demokratien in der Regel schon. Unabhängig von der jeweiligen Regierung dürfen wir aber die Menschen im Sahel nicht im Stich lassen.

Das bedeutet?

Es ist zu begrüßen, dass die Welthungerhilfe ihre Arbeit fortsetzen wird. Und deswegen setzen wir auch in Niger die regierungsferne humanitäre Hilfe fort und ich hoffe, dass wir eines Tages auch unsere Stabilisierungs- und Entwicklungspolitik mit Niger wiederaufnehmen können. Denn nur wer positive Alternativen im Leben hat, wird darauf verzichten, seine Interessen mit Gewalt durchzusetzen.

Wie schafft man das?

Mit Niger waren wir in diesem Zusammenhang auf einem sehr guten partnerschaftlichen Weg. Wir haben dort viel investiert, um Konfliktursachen zu bekämpfen und nicht zuletzt, um jungen Männern Alternativen zum Terrorismus und zur Kriminalität zu eröffnen. Und wir haben damit konkrete Ergebnisse erzielt: Das Land hatte in den letzten Monaten die wenigsten terroristischen Angriffe und die wenigsten zivilen Opfer bei Kämpfen im Vergleich zu den Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso. Das hat dazu geführt, dass die Lokalbevölkerung in jüngsten Umfragen ein stark verbessertes Sicherheitsempfinden gezeigt hat. Ich hoffe, dass wir diesen Weg eines Tages weitergehen können.

Haben Sie diese Hoffnung wirklich? Aktuell spricht wenig dafür.

Die klare und entschlossene Reaktion der Regionalorganisation ECOWAS zeigt uns außerdem, dass wir dort starke Partner haben, die wir ebenfalls verlässlich unterstützen werden.

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